Dr. Aleksandra Sowa (2015): Wie das Wettrennen der Amerikaner und der Russen um den Mond – Der Internetwahlkampf 1998 der SPD

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Zugangsberechtigung Internet-Redaktion SPD-Parteivorstand @ Aleksandra Sowa

Am Wahlkampfabend des 27. September 1998 stürmte eine junge Journalistin von Spiegel Online die Internetredaktion der Kampa in Bonn. Das Netz sei zusammengebrochen, sie bekäme keine Verbindung zum Redaktionsserver und könne ihre Liveberichte nicht abliefern. Zusagen, bei dem Wahlkampfabend dabei zu sein, bekäme sie nur von FDP und SPD. Doch die Internetredaktion in der Kampa sei die einzige, wo noch was läuft, hätte sie gehört.

Sie hatte recht. Die Chefin der Internetredaktion der SPD wies der Journalistin einen freien Platz zu, wo sie ihre Berichte aus dieser Nacht tippen konnte.

Gerhard Schröder – Bundestagswahlkampf 1998 © Petra Tursky-Hartmann

Die Wahlkampfnacht 1998 war nicht nur die Siegesnacht von Gerhard Schröder. Dies war ebenfalls die Siegesnacht des SPD-Webservers über die IT anderer Bundestagswahlparteien. Die Sozialdemokraten waren die einzige Partei, deren Internetpräsenz an diesem Abend und in dieser Nacht ununterbrochen abrufbar war und nicht den – vermutlich weder beabsichtigten noch bösartigen – Denial-of-Service-Attacken der vom Wahlergebnis der Sozialdemokraten begeisterten Internetnutzer erlag.

„Der Wahlsieg ist ja schon toll“, schrieb ein begeisterter User in einer E-Mail noch am Wahlabend. „Dass Ihr das aber hinbekommen habt, als einzige im Lande einen funktionierenden Internet-Server (in Echtzeit) am Laufen zu halten, ist die totale Wuchtbrumme. Glückwunsch. Doppelt an diesem historischen Wahlabend.“[1]

Screenshot www.spd.de 1998 Bundestagswahlkampf

Die Internetredaktion der SPD überließ in dieser Nacht nichts dem Zufall. Auch nicht, dass sie als einzige Partei online geblieben ist. Sie hat sich auf diesen Fall vorbereitet und aus den Wahlkampferfahrungen anderer Länder, die das Internet erstmalig intensiv im Wahlkampf eingesetzt hatten, gelernt. Die SPD schickte Beobachter in die USA, um in der Bill-Clinton-Wahlkampagne Erfahrungen zu sammeln. Doch die Pannen der nichtverfügbaren Server ereigneten sich zuerst in einer sehr nahen Nachbarschaft – während der Wahlen im Jahr 1997 in Polen. Sowohl die Abfrage der Wahlprognosen vor als auch der Wahlergebnisse nach den Wahlen brachte die Server von „Rzeczpospolita“ beinahe zum Absturz. Ich verfasste damals einen kurzen Bericht darüber für die Friedrich-Ebert-Stiftung und stellte ihn ins Netz[2]. Als die Siegesnacht kam, war die SPD – nicht nur technisch gesehen – auf den „worst case“ vorbereitet.

Der Würfel auf dem Erich-Ollenhauer-Haus in Bonn ©-Petra-Tursky-Hartmann

Bis spät in die Nacht berichtete die Internetredaktion live aus der Wahlkampfzentrale und dem Erich-Ollenhauer-Haus in Bonn im Intranet und stellte Fotos, Reden und Kurzberichte auf die Internetseite der SPD.

„Wir wollten schneller sein als die CDU“, sagte Anna Siebenborn der Spiegel-Journalistin an diesem Wahlabend. „Das war wie der Kampf der Amerikaner und der Russen um den Mond.“ („Kohl ist weg!“, Nataly Bleuel, 28.09.98; Spiegel Online)[3]

VOV Logo 1998

Es war ein lang ersehnter Sieg für die Technik-Freaks und ungefährlichen Spinner, die damals noch von der Hand jede Webseite kodierten – den Virtuellen Ortsverein der SPD (VOV). Redaktionstools waren kaum für den professionellen Einsatz geeignet, man musste HTML, PHP, am besten auch CGI und Pearl „sprechen“, die Bildbearbeitung beherrschen, von Linux etwas verstehen und ein Netzwerk konfigurieren können (1992 erschien mit Windows für Workgroups die erste netzwerkfähige Version von Windows; erst mit Windows 95 trat Microsoft ins Webzeitalter ein[4]). Auf den Parteitagen, Messen und bei der Wahlkampftour bewiesen die VOVler ihr Können. Was dem Internet-Team meistens zur Verfügung gestellt wurde, war eine Stromdose und manchmal ein ISDN-Anschluss. Der Aufbau der Technik, die Konfiguration des Netzwerks und der Arbeitsumgebung, gar die Konfiguration der Router (danke, Jens Hoffmann, Elmar K. Bins und Wolfgang Küter!) waren schon die Aufgabe des VOV.

JUSY Festival © Aleksandra Sowa

Gewiss haben sich die Mitglieder der „Internetredaktion“ nicht nur durch ihr technisches Können vom Rest der Parteizentrale unterschieden. Auch durch die Kleidung – und auch durch ihre verhaltene Kommunikationsneigung. Das lag allerdings daran, dass wir unglaublich viel zu tun hatten. Auf den Parteitagen und Messen arbeiteten wir meistens in Schichten, um die Liveberichterstattung zu bewältigen und schneller als die Presse News zu publizieren. Während ein Teil der Redaktion die journalistischen Aufgaben übernahm und Fotos schoss, waren die anderen im Back-Office damit befasst, die Seiten zu kodieren. Die Chefin der Internetredaktion textete und kommentierte das Geschehene und kümmerte sich um die Freigaben, bevor das Material ins Netz ging. Nicht zu vergessen die Truppe, welche die offiziellen Dokumente – gut, wenn sie schon digitalisiert waren – im Schreibbüro besorgte, übertrug und gegebenenfalls digitalisierte (der Memory Stick war damals noch nicht erfunden). Im Front-Office wurden die Ergebnisse direkt aus dem Internet und Intranet präsentiert, Besuche von Prominenten empfangen, das Internet erklärt und Führungen und Pressetermine für die Parteivorstände erledigt. Und das alles unter Guerilla-Bedingungen.

Tour Team 1998 @ Aleksandra Sowa

Auf der Wahlkampftour durch die Bundesrepublik begleiteten den Kanzlerkandidaten der SPD mehrere mobile Teams, die mit Technik beladenen Pkws hinter dem „Hof“ von Schröder fuhren und ad hoc eine Redaktion aufbauen mussten, um das Bild- und Textmaterial a) schneller als die Medien und b) ungefiltert ins Netz zu stellen.

Gerhard Schröder gewöhnte sich schnell an die Individualisten in Bühnennähe, die mit ihren damals sehr klobigen und unglaublich langsamen Digitalkamera versuchten, möglichst gute Bilder von ihm zu schießen. Eine solche Kamera kostete damals mehrere tausend DM. Ein so wertvolles Prunkstück konnte sich die Internetredaktion des SPD-Parteivorstandes damals nur leihweise leisten.

Unsere Erfolge sprachen sich in der Kampa unglaublich schnell herum und weckten Begehrlichkeiten. Mehrmals tauchten in unserem bis zur Decke mit Technik und Kabeln vollgestopften Redaktionsräumen Mittdreißiger auf – intellektuell angehauchte Hornbrille, Anzug und ledergebundener Terminkalender – mit der Ankündigung, sie hätten jetzt das Sagen über das Internet. Von den meisten dieser Individuen hat man nach dem Wahlkampf nie wieder etwas gehört. Dem Alter Ego begegnet man heute praktisch in jeder Branche und Organisation: große Klappe und keine Ahnung von der Sache. Nur die Brillen haben sich geändert: heute trägt man die Nerd-Version.

VOV-Infostand: Jörg Tauss (alias „InterTauss“) und Aleksandra Sowa © Petra Tursky-Hartmann

In Duisburg war die Internetredaktion noch vor der Hundestaffel der Polizei mit der Technik fertig. In Duisburg erwiderte Schröder den Vorwurf der Bürgermeisterin, er sei noch nie in Duisburg gewesen, mit den Worten, er würde Duisburg kennen, er hätte schließlich Schimanski geguckt. Aus den guten Bildern wurde allerdings nichts. Der für höhere Ämter und Würden bestimmte Mittdreißiger hat der Internetredaktion den Zugang zur Bühne verwehrt. In Zwickau gab es eine Werksbesichtigung mit den frischen Vorständen der Sachsenring Automobilwerk AG, die stolz behaupteten, den faulen Hund in den Ostdeutschen bekämpft zu haben. Wir fanden es wenig berichtenswert, dafür stand es später im Geschäftsbericht der Werke (die Gebrüder Ulf und Ernst-Wilhelm Rittinghaus wurden einige Jahre später u. a. wegen Bilanzfälschung zu Haftstrafen verurteilt, nachdem das Werk insolvent war und geschlossen werden musste[5]). In Bremen bauten wir unsere Tische mit Rechnern direkt auf dem Marktplatz auf. Der Kandidat war schon da (was wir nicht wussten) und lud spontan Journalisten in den Ratskeller zu Bier und Gespräch (was wir aus der Presse erfahren haben). Die Fotos von dem Bühnenauftritt sind trotzdem sehr gut geworden. Und: wir waren wieder mal schneller als die Medien gewesen. In Stuttgart war es so voll, dass wir kaum Nahaufnahmen des Kandidaten geschafft haben, dafür aber tolle Fotos von den begeisterten Menschenmassen vor der Bühne. Außerdem waren wir viel zu spät dran. Während wir auf der Autobahn im Stau standen, fuhr uns Schröder mit seinem Team und einer Polizeieskorte davon. Fakt ist: Wir waren immer dabei, gehörten aber irgendwie doch nicht dazu.

„Schröders virtuelle Stoßtruppe“ @ Politik-Digital 1999

Im Wahlkampf arbeitete eine gut eingespielte VOV-Truppe. Technik, die sich standardisieren ließ, wurde standardisiert. Jeder Griff musste sitzen, jedes Kabel musste richtig aufgewickelt werden, damit das nächste Team ohne Unterbrechung weiterarbeiten konnte. Für Back-ups und Reservelösungen waren weder Zeit noch Geld da. Trotzdem hat es funktioniert. Und dazu noch erstaunlich gut.

Zum Dank für unseren Einsatz bekamen wir ein vom Kanzlerkandidaten handsigniertes Buch überreicht – über Gerhard Schröder –, das ich bis heute wie ein Heiligtum aufbewahre. Er schrieb ja auch am liebsten mit einem guten Mont Blanc. So antwortete er auch, als ihm nahegelegt wurde, sich eine E-Mail-Adresse einrichten zu lassen. Diese Anekdote erzählte man sich noch Monate später.

Mehrheit 1998 © SPD-Parteivorstand

Und dann war der Kohl weg, wie Nataly Bleyel ihren Wahlabendbericht titelte. Hans-Dieter Degler aus der Redaktion von Spiegel Online kommentierte die Wahlergebnisse: „Die Netzgemeinschaft nimmt einen ignoranten Kanzler, der noch vor wenigen Jahren nicht wusste, was eine Datenautobahn ist, nicht mehr ernst. Und sie nimmt ihm übel, wenn er seinen Innenminister nicht bei dem Versuch stoppt, den großen Lauschangriff auf das Internet auszuweiten.“ Worte und Themen, die heute wieder sehr aktuell klingen.

[1] Auszüge aus der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Akademie der Politischen Bildung. Unter der wissenschaftlichen Betreuung von Herrn Prof. Dr. Thomas Meyer. Vorgelegt von Aleksandra Sowa. „Wahlkampf via Internet. Online-Wahlen in Deutschland 1998 am Beispiel der SPD und CDU.“ (12.11.1998), http://www.fes.de/election/wahlen98/.

[2] Sowa, A. 1997. „Wybory´97 in Polen“, http://www.fes.de/election/wybory_97.html (Zugriff: 25.5.2015)

[3] Ebd.

[4] Cumplido, T. und Grote, M. „Windows-History: Die Geschichte von 1985 bis heute: Die Evolution des Microsoft-Betriebssystems in Bildern“, http://www.heise.de/download/special-windows-history-die-geschichte-des-betriebssystems-151501.html (Zugriff: 25.5.2015( und  Microsoft. „Die Entwicklung von Windows“, http://windows.microsoft.com/de-de/windows/history#T1=era4 (Zugriff: 25.5.2015)

[5] Manager-Magazin. 2009. Sachsenring-Prozess: Haftstraffen für die Brüder Rittinghaus. 10.3.2009. http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/a-612499.html (Zugriff: 25.5.2015)

Jörg Tauss (2015): „Ihr werdet nie virtuell Plakate kleben können!“ – Die Geschichte des VOV und der Netzpolitik

„Bis Donnerstag können wir einen Antrag schreiben…“ berichtete ich meinen Mitarbeitern stolz am Mittwochmorgen nach einer nächtlichen Fraktionssitzung  im  Jahr 1995. Parlamentserfahrener als ich fielen sie beinahe in Ohnmacht. Tatsächlich klappte das allein schon wegen der formalen fraktionsinternen und parlamentarischen Abläufe nicht, als MdB innerhalb eines Tages einen Antrag zustande und dann auch formal auf den Weg zu bringen.

Dennoch gingen wir an die Arbeit und wandten uns wegen des besagten Antrags gezielt an die damaligen Compuserve-Foren. Das Thema ist mir leider entfallen. Und  vom Erfolg zu überrascht, waren wir auch nicht in der Lage, den Vorgang zu dokumentieren. Die Resonanz war, einfach überwältigend. Im wahrsten Sinne des Wortes hatten Menschen weltweit am Text unseres Antrags gearbeitet. Da war der deutsche Wissenschaftler in L.A. ebenso beteiligt wie ein Zivi in Moskau oder eine Angestellte einer deutschen Firma in Tokio.

Dieser Vorgang war letztlich der Auslöser für die nächtliche Idee, einen virtuellen Ortsverein zu gründen. Ziel war weniger der Wunsch nach regionalem Geplänkel, sondern die Vernetzung von „Szenen“. Oft genug gibt – und gab es – im „normalen“ Ortsverein thematisch versierte Fachleute, die sich „mangels Masse“ nicht unter ihresgleichen vor Ort innerhalb der Partei austauschen konnten. Insofern war die ursprüngliche Überlegung, diese Fachleute oder thematisch Interessierte in entsprechenden Foren des VOV zu vernetzen und sie nicht allein dem „kuscheligen“ klassischen Ortsverein zu überlassen.

Auch wenn dieser Ansatz dann letztendlich nicht umgesetzt werden konnte, war Bürgerbeteiligungund ist diese Idee für moderne Parteien – und letztlich auch die Parlamentsarbeit – aus heutiger Sicht und nach viel Ernüchterung immer noch bestechend. Voraussetzung wäre allerdings, dass Partei(en) und Abgeordnete diese Chance für die eigene Arbeit wahrnehmen und sie nutzen. Allerdings war – mit einigen Ausnahmen – das Gegenteil der Fall.

Die einen befürchteten eine zusätzliche Arbeitsbelastung für ihre ohnehin überlasteten Büros. Andere schoben demokratietheoretische Erwägungen vor. So wäre, bei Umsetzung der „virtuellen Idee“, die Mehrheit des Parteivolks und erst recht die Bevölkerung von der Meinungsbildung ausgeschlossen. Gerade so, als sei an einer nicht internetbasierten Meinungsbildung und Gesetzgebung die Mehrheit der Bevölkerung schon immer beteiligt gewesen.

Diese Argumente der Gegner der Netzpolitik dominieren auch heute, 20 Jahre (sic!) nach der Gründung des ersten virtuellen Ortsvereins, immer noch den politisch-parlamentarischen Alltag. Bis heute gibt es keinen einzigen Bundestagsausschuss, der eine virtuelle Bürgerbeteiligung jenseits klassischer Anhörungen auch nur ansatzweise in Erwägung zieht. Chaotische Debatten in Foren einerseits und gewichtige politische Bremsklötze andererseits verhinderten und verhindern so parteiübergreifend die Idee technisch gestützter und unterstützter Meinungsbildung sowie eine breitere systematische Politikbeteiligung via Internet. Und dies eben in Partei(en) wie in Fraktionen und Parlamenten.

Die Beschäftigung mit diesen häufig verbrämten Widerständen prägten damals auch die „Hauptarbeit“ des VOV. Nicht ein parteiinternes Lob für diese zukunftsgerichtete und moderne Idee prägte damals den Aufbruch in die digitale Zeit, sondern der schneidige Besuch des Justiziars der SPD. Er forderte, dem VOV die Berechtigung zu entziehen, sich „sozialdemokratisch“ zu nennen. Schließlich könnte da ja jeder kommen….

Neben solchen Kämpfen waren die Aktiven des VOV zudem gezwungen, sich in Ermangelung netzpolitischer Fachleute im Politikbetrieb den Experten im Netz zuzuwenden. Dies wiederum führte dazu, als „Freak“ für weiche Themen“ in eine entsprechend belächelte Ecke gestellt zu werden. Insbesondere da man mit kräftiger sozialdemokratischer Hilfe das gute alte Postministerium abgeschafft hatte. Dies musste nicht unbedingt betrauert werden.

Aber mit der Verlagerung jeglicher Telekommunikationspolitik  auf die Wirtschaft und den Markt waren auch über Jahre die parlamentarischen und die damit verbundenen personellen Strukturen nebst Kompetenzen für diesen Themenbereich weggebrochen. Natürlich ging es dabei auch schlicht um Macht und dem Erhalt hierarchischer Strukturen im Politikbetrieb. Und um schlicht Angst vor dem Neuen. Die beharrliche Weigerung, sich mit diesem „Neuen“ auseinander zu setzen, führt bis heute zu  seltsam anmutenden „Neuland“-Diskussionen.

Das Internet ist der natürliche Feind des damaligen wie des heutigen Politikbetriebes. Dies zeigen die immer wieder geführten Debatten um Kryptoregulierungen, um ein modernes Urheberrecht oder um die Vorratsdatenspeicherung. Argumente zählen im Politikbetrieb nicht. (Sie zählten auch vor dem Internetzeitalter nicht. Nur fiel das damals bestenfalls einer Minderheit thematisch interessierter Menschen auf).  mit der Etablierung der „Sozialen Netzwerke“ werden politische Unzulänglichkeiten heute nicht nur schnell bekannt, sondern auch umfassend verbreitet.

Dies führte und führt dazu, dass sich die herrschende „Politikkaste“ immer weiter von der netzpolitisch fachkundigen Szene entfernt. Dramatischer Höhepunkt und Ausdruck dieser Entwicklung war zweifellos 2009 die Auseinandersetzung um die Sperrung von Internetinhalten im Zusammenhang mit dem Zugangserschwerungsgesetz (Stichwort „Zensursula“).

Dies war, trotz des vorübergehenden Erstarkens der Piraten, der zentrale Bruch einer kompletten internetaffinen Generation mit dem klassischen Partei- und Politikbetrieb. Dieser Bruch ist durch sinnfrei geführte Debatten zur Vorratsdatenspeicherung oder durch die erbärmliche Haltung in der Frage, Edward Snowden Asyl zu gewähren, eher weiter vertieft worden.

Aus diesem Grund war auch der VOV und die später daraus hervorgehende Netzpolitik nur begrenzt in der Lage, wenigstens einen Teil dieser netzaffinen Generation an die SPD zu binden. Mittlerweile haben sich  viele der damals Aktiven enttäuscht abgewendet.

Sie waren es schlicht und einfach leid, nach dem euphorischen Beginn nur noch formale Kämpfe um Antragsrecht oder Inhalte mit einem Apparat zu führen, der sie ablehnte. Auch als die SPD, wie später alle Parteien, das Netz für sich als schmückendes Modernitätssignal entdeckte, blieb es letztlich dabei, das Internet als Verbreitungsplattform für Verlautbarungen an das staunende Volk zu benutzen.

„Ihr werdet nie virtuell plakatieren können!“ Dieser Einwand des SPD-Ehrenvorsitzenden Hans – Jochen Vogel brachte es Jahre später unfreiwillig komisch auf den Punkt: Die alte Plakatkleisterpartei war überzeugt, dass sie innerparteilich gesiegt hatte. Gegenüber dem Virtuellen Ortsverein und letztlich gegenüber moderner Netzpolitik. Es wird noch lange brauchen, bis sie begreift, dass das ein nur schwer zu korrigierender Fehler gewesen ist. Eine Änderung ist da noch lange nicht in Sicht.