Dr. Boris `pi´Piwinger (1997): Frequently Asked Questions zum Virtuellen Ortsverein der SPD (VOV)

1)  Wer sind wir?

Der Arbeitskreis Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Internet – so der offizielle Name des Virtuellen Ortsvereins der SPD (VOV) – ist ein Zusammenschluss von Netzteilnehmern, die der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) angehoeren oder ihr nahestehen. Der VOV ist als Arbeitskreis vom Parteivorstand anerkannt.

Gegruendet wurde der VOV auf Anregung und mit intensiver Beteiligung des SPD-Bundestagsabgeordneten Joerg Tauss.

Anders als richtige Ortsvereine definieren wir uns jedoch nicht als regionale Einheit der SPD, sondern bedingt durch unser Medium – das weltumspannende Computernetz Internet (und angeschlossene andere Computernetze) – als Gruppe, die dieses neue Medium zu einer neuen Form der politischen Arbeit nutzen moechte.

Im VOV versammeln sich:
+  Genossinnen und Genossen, die diese neue Arbeitsform neben ihrer traditionellen Parteiarbeit weiterentwickeln wollen
+  Genossinnen und Genossen aus der ganzen Welt, die in der SPD mitarbeiten moechten, jedoch durch die traditionellen Formen der politischen Willensbildung nicht angesprochen werden
+  Nicht-SPD-Mitglieder, die sich mit den Zielen der SPD und des VOV identifizieren koennen

2)  Was wollen wir?

Unsere besondere politische Aufmerksamkeit gilt der Entwicklung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien, ihren sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen sowie ihren Konsequenzen auf die parteiinterne Willensbildung.

Wir wollen selbst virtuelle Organisations- und neue elektronische Kommunikationsformen entwickeln und erproben.

3)  Wo sind wir?

Die Mitglieder des VOV kommunizieren ueber automatische Mailverteiler miteinander. Diskussionen ueber aktuelle politische Themen fuehren die Mitglieder des VOV neben den Mailinglisten hauptsaechlich in der Newsgroup de.org.politik.spd (dops), aber auch in de.soc.politik, de.soc.netzwesen, de.soc.recht.misc, de.soc.zensur, …

Weitere Informationen, sowie offizielle Statements des VOV zu relevanten Themen finden sich im WWW unter http://vov.de/. Allgemeine Informationen zur SPD finden sich unter http://www.spd.de/.

4)  Wie arbeiten wir?

Nach guter demokratischer Gepflogenheit stellen die VOV-Mitglieder ihre Gedanken und Ideen im Netz zur Diskussion. Handelt es sich um den Entwurf eines Antrages, wird der moegliche Antragstext als Diskussionsaufruf (RfD =3D Request for Discussion) verschickt. Ueber den Antrag wird danach abgestimmt — elektronisch natuerlich. Der Wahlleiter verschickt im Auftrag des Antragstellers einen Wahlaufruf (CfV =3D Call for Votes) unter Angabe des Abstimmungstextes, moeglicher Antworten und des Abstimmungszeitraumes. Jedes VOV-Mitglied kann dann durch eine Mail an den Abstimmungsaccount waehlen; das Ergebnis wird ueber den Mailverteiler bekannt gegeben und ggf. in den Newsgroups und im WWW oeffentlich gemacht.

Der Vorstand des VOV setzt sich aus dem Vorsitzenden und Verantwortlichen fuer spezielle Aufgaben zusammen:
+  Vorsitzender: Heino Prinz <vov-v…@nord.de>
+  Postmaster (Verwaltung der Mailing-Listen des VOV und Ansprechpartner bei eMail-Problemen): Ulrich Kortenkamp <vov-pos…@nord.de>
+  Pressesprecher (Darstellung des VOV in der und Kontakte zur Presse): Arne Brand <vov-p…@nord.de>
+  Schriftfuehrer (Mitglieder- und Waehlerverzeichnis, Versand der Anmeldeunterlagen, Mitgliederstatistik): Hartmut Hambach <vov-schri…@nord.de>
+  Usenet-Betreuer (Koordination der Aktionen im Usenet, FAQ): Boris ‚pi‘ Piwinger <vov-u…@nord.de>
+  Verbindungsperson Bonn (Koordination mit und Kontakt zu Partei-
vorstand, Bundestagsfraktion und anderen Bonner Institutionen): Joerg Tauss und Boris ‚pi‘ Piwinger <vov-p…@nord.de>
+  Wahlleiter (ordnungsgemaesse Durchfuehrung von Wahlen und Abstimmungen): Axel Schudak <vov-wah…@nord.de>
+  WWW-Betreuer (Redaktion der VOV-Seiten): Alexander Stirn <vov…@nord.de>

Der Vorstand wird durch einige Projektleiter unterstuetzt:
+  Beitragstabelle der SPD: Thomas Schild
+  Computer in die Schulen: Christine Knieriemen
+  Informationsstaende: Arne Brand <vov-inf…@nord.de>
+  Parteireform/Mitgliederentwicklung: Boris von der Linde
+  Reduzierung des Wahlalters: Olaf Abdinghoff
+  Sozialabbau — Bekaempfung der Arbeitslosigkeit: Karl-Friedrich Probst
+  Vernetzung der SPD: Dirk Bachhausen

Als Schirmherrin konnten wir Herta Daeubler-Gmelin gewinnen.

5)  Wer ist dabei?

Die Mitglieder des VOV sind Menschen aus der ganzen Welt. Viele sind darueber hinaus Mitglieder der SPD und einige davon arbeiten auch in regionalen oder ueberregionalen Gremien der Partei mit.

Der VOV hat derzeit mehr als 500 Mitglieder, wovon leider nur ca. 6% weiblich sind. Ein gutes Viertel der Mitglieder ist unter 30 Jahre alt, gute 30% sind ueber 40. Etwa 85% der VOV-Mitglieder geben an, in der SPD zu sein, davon ueber 70% seit mehr als fuenf Jahren.

Mitglieder des VOV, die dies ausdruecklich wuenschen, werden in eine VOV-oeffentliche Mitgliederliste aufgenommen. Zusaetzlich gibt es eine Liste von Mitglieder-Homepages auf dem VOV-Server.

6)  Wer kann Mitglied werden?

Jeder, der ueber eine international erreichbare eMail-Adresse <name@domain> verfuegt und der sich zu den Grundwerten und Grundsaetzen der SPD bekennt.

7)  Wie werde ich Mitglied im VOV?

+  Wer in den VOV eintreten will, fuellt einfach das Anmeldeformular auf dem VOV-Server (http://vov.de/anmeldung/) aus und klickt auf „Ja, ich will!“ Danach das ausgefuellte Formular noch ausdrucken, unterschreiben und ab damit zur Post. Leute ohne WWW-Zugang schreiben einfach eine Mail an <vov…@nord.de>; von diesem bekommt man das Anmeldeformular, das man dann per eMail und auf Papier (also insgesamt zweimal!) zurueckschickt. Ein kurzes Selbstportrait in einer Mail an <v…@nord.de> hilft beim Kennenlernen, ist aber keine Pflicht.

+  Man tritt aus dem VOV aus, indem man eine Mail an <vov…@nord.de> schickt, aus der der Austrittswunsch deutlich hervorgeht. Abbestellen der Mailingliste alleine bedeutet noch keinen Austritt!

+  Aenderungen der eMail-Adresse koennen selbst durchgefuehrt werden, Informationen dazu erhaelt man bei der Anmeldung oder bei <vov…@nord.de>.

+  Falls man eine eigene Homepage hat, kann diese jederzeit in die Liste der VOV-Mitglieder auf dem WWW eingetragen werden. Hierzu reicht eine kurze Mail an <vov…@nord.de>.

8)  Womit befassen wir uns?

(Die Reihenfolge der Themen ist historisch gewachsen und stellt keine Wertung dar.)

+ Wie kann „Zensur“ verhindert und Meinungsfreiheit in Computernetzen sichergestellt werden?
+ Datenschutz und Datensicherheit in Computernetzen
+ Informationsgrundversorgung, freier Zugang zu Computernetzen
+ Offizielle Verlautbarungen zum Thema „Informationsgesellschaft“ von SPD-Gliederungen und Politikern
+ Wie bringt man Netz- und Parteikultur auf einen gemeinsamen Nenner? Vernetzung der Partei
+ Telekommunikationsgesetz (TKG)
+ Informations- und Kommunikationsdienstegesetz des Bundes (IuKDG)
+ Computer und Schulen
+ Der Umgang mit der PDS, Ost-West-Diskussionen
+ Arbeiterlieder
+ Politik im Nahen Osten
+ Aktuelle Diskussionen von Wahlergebnissen
+ Vorbereitung des rechtspolitischen Kongresses April 97 in Mainz
+ Frauen im VOV/Internet
+ Zahlreiche allgemeine politische Themen

9)  Credits

Der Text dieses FAQs stammt urspruenglich von Christoph Wick. Weiterhin waren Jens Hoffmann, Thomas Roessler, Andreas Kroepelin, Andreas Plaeschke, Ralf Parr, Michael Doerrschuck, Bernhard C. Witt, Axel Schudak, Heino Prinz, Michael Singer, Ulrich Kortenkamp, Arne Brand, Attila Radnai, Karl Peter Ohly, Alexander Stirn und Hartmut Hambach beteiligt.

Momentan wird das FAQ von Boris Piwinger <vov-u…@nord.de> gepflegt.

Boris Piwinger
Mitglied im Vorstand des Virtuellen Ortsvereins der SPD (VOV)
(Usenet und Repraesentanz in Bonn)
http://vov.de/

Axel Schudak (2015): Zwei Anekdoten aus der aktiven Arbeit im VOV

Kryptoverbot

1997 versuchte die Bundesregierung, damals unter Bundesinnenminister Kanther (CDU), eine „Regulierung“ von Kryptographie auf den Tisch zu bringen, die effektiv auf ein Verbot starker Kryptographie hinausgelaufen wäre. In der Entwicklung dieser Debatte wurde ich damals von Jörg als „Experte“, konkret in meiner Eigenschaft als damaliger Geschäftsführer des DT Online-Verlags, zu einer Sitzung der SPD-Mitglieder des verantwortlichen Ausschusses nach Bonn eingeladen.

Das damals zusammen mit einem anderen VOVler (Jens oder Arne??) ausgearbeitete Hauptargument unserer Seite war die Aussage, dass mittels Steganographie die Verwendung von Kryptographie überhaupt nicht nachweisbar ist, das also ein Verbot technisch leicht umgangen werden kann. Wenn gängige Verfahren von Unternehmen und Privatpersonen nicht genutzt werden dürfen, während kriminelle Kommunikation keinen nachweisbaren Einschränkungen unterliegt, kann ein entsprechendes Verbot nicht angemessen sein. Zwar glaube ich nicht, dass wir einen messbaren Einfluss auf die Entscheidungsfindung hatten, aber letztendlich wurde die Idee begraben.

Bis vor einigen Monaten.

Der britische Premier Cameron beschwert sich über die Möglichkeit, kryptographisch abgesichert zu kommunizieren, und unser Innenminister de Maizière äußert Sympathie. Das Kryptoverbot steht damit wieder im Raum

Softwarepatente

Mein zweiter physikalischer Auftritt im Rahmen des VOV war ein 6-Augen-Gespräch, dass Arne Brand und ich im Sommer 2000 – exakt am Tag nach den Wahlen in den USA – in Berlin im Justizministerium bei unserer Schirmherrin Herta Däubler-Gmelin zum Thema Softwarepatente hatten. Ich kann mich noch gut entsinnen, wie ich mit Arne auf dem Weg von Hannover nach Berlin im Auto über die Wahl in den USA sprach, und dass man wohl so lange zählen würde, bis das Ergebnis in Florida passt…

Die Position des VOV zum Thema Softwarepatente war eine relativ orthodoxe Umsetzung der Gesetzeslage. Wir vertraten die Auffassung, dass „Programme für Datenverarbeitungsanlagen“ nicht patentierbar sind. Unsere Grundmotivation war, Entwickler von Software bei Eigenentwicklungen von Ansprüchen Dritter freizuhalten.

Diese Position wurde von verschiedenen Ländern damals schon aufgeweicht. Insbesondere in den USA wurden Patente erteilt, die dieser ursprünglich auch dort vertretenen Grundidee teils deutlich widersprachen. Die Unterschiede in der Patentpraxis führten dazu, dass in den USA Patente auf Verfahren angemeldet wurden, die man vorher in Europa entwickelt, aber nicht patentiert hatte.

Offensichtlich wurde zu diesem Zeitpunkt im Justizministerium darüber nachgedacht, Softwarepatente weitergehend zuzulassen. Unseren Bedenken wurde entgegengehalten, dass für wichtige Verfahren ggf. eine Zwangslizenz angeordnet werden könne, um die allgemeine Entwicklung nicht zu behindern. Soweit ich mich entsinne, haben Arne und ich die Praktikabilität einer Zwangslizenz angezweifelt.

Ich glaube nicht, dass Arne und ich (als Vertreter des VOV) einen nachhaltigen – oder auch nur bemerkbaren – Einfluss auf die Entwicklung von Softwarepatenten nehmen konnten, die nun, seit 40 Jahren, je nach Stimmung offener oder restriktiver gehandhabt wird.

Axel Schudak (2015): Online-Wahlen im VOV

Geheime Wahlen?

Mit der Gründung des VOV stellte sich schnell das Problem, dass wir zur Besetzung der verschiedenen Funktionen Wahlen durchführen mussten. Glücklicherweise waren wir nicht die Ersten, die zu einem potentiell heftig umstrittenen Thema in Online-Netzen eine Einigung per Abstimmung zustande bringen mussten: Usenet-Gruppen waren uns da um einiges voraus.

Da ich an einigen solcher Abstimmungen teilgenommen hatte und über eine private Internet-Standleitung nach Hause verfügte, erklärte ich mich bereit, die ersten Wahlen im VOV durchzuführen.

Die eigentliche Wahl fand – wie damals unsere gesamte Kommunikation – über eine Mailingliste und eine Stimmabgabe per E-Mail statt – es war also jedem Teilnehmer klar, dass zumindest der Wahlleiter die Stimmabgabe lesen konnte, eine „geheime“ Wahl also nicht im letztendlichen Sinne der Definition stattfand. Üblicherweise wird in einer Usenet-Abstimmung sowohl der Name des Abstimmenden als auch seine Stimmabgabe veröffentlicht, was Manipulationen ausschließt. Da eine Personenwahl geheim sein sollte, haben wir auf die Auflistung der Stimmabgabe verzichtet. Es war also anfangs ein Vertrauensprinzip.

Gleich unsere erste Abstimmung über die zukünftige Leitung des VOV war von grundsätzlicher Natur, da sich mit Heino Prinz und Jakob von Weizsäcker zwei Vertreter völlig unterschiedlicher Ausrichtungen zur Wahl stellten – Heino war eher ein Generalist, der den VOV für die Debatte allgemeiner Themen nutzen wollte, während Jakob eher für eine Konzentration der politischen Arbeit auf netzorientierte Themen eintrat. Ich war erklärter Anhänger der zweiten Fraktion. Die Abstimmung ergab eine Mehrheit von nur einer Stimme für Heino – eine Richtungsentscheidung, die ich auch heute noch für unglücklich halte.

Manipulationssichere Wahlen

Nach diese Abstimmung war mir klar, dass kein Wahlleiter die Möglichkeit haben sollte, durch falsche Auszählung – oder auch nur das „versehentliche“ Verlieren einer Mail – das Ergebnis zu manipulieren. Es musste also eine Möglichkeit geben, sowohl die Abgabe der Stimme zu prüfen – kein Problem, indem die Liste der Wahlteilnehmer veröffentlicht wird – als auch die korrekte Zählung der abgegebenen Stimme.

Hierzu wurde dann für die folgenden „geheimen“ Wahlen neben dem Namen des Wählenden auch ein von ihm frei gewähltes Kennwort gefordert, so dass eine Stimmabgabe die Authentifizierung (über den Namen), das Kennwort und die Stimme enthielt. Veröffentlicht wurden dann die Liste der Teilnehmer sowie separat davon die Liste der Kennwörter jeweils mit Stimme sowie das sich daraus ergebende Ergebnis. Eine Manipulation des Ergebnisses war so nicht mehr möglich, ohne dass es den Betroffenen auffiel. Jeder konnte für sich prüfen, ob seine Stimme gezählt wurde und ob seine Stimme richtig ist. Über die verfügbaren Namenslisten war sichergestellt, dass keine zusätzlichen Stimmen eingeschmuggelt wurden. Das Verfahren haben wir für Personenwahlen und ggf. geheime Abstimmungen so beibehalten, wobei wir alle thematischen Abstimmungen öffentlich durchgeführt haben.

KEINE geheimen Wahlen – Wahlmaschinen?

Der Nachteil des Verfahrens liegt natürlich auf der Hand: die Wahl ist nicht wirklich „geheim“. Einerseits hat der Wahlleiter die Möglichkeit, die Stimmen einzusehen – auch wenn die Auszählung später von einem Programm durchgeführt wurde. Gleichzeitig konnte durch Vereinbarung des Kennworts die Abgabe einer Stimme durch Dritte überprüft werden.

An dieser Stelle gab es zwar interne Überlegungen eine „Wahlmaschine“ zu schreiben, in der z. B. vom Wähler Stimme und Kennwort an einen Server, sowie Kennwort und Authentifizierung an einen anderen Server gesendet werden, wobei der eine Server dem anderen den Wahlzettel freigibt. Aber der Aufwand erschien uns den Vorteil für die Nutzung im VOV nicht wert zu sein.

Mit diesem Verfahren würde man zur Zuordnung einer Stimme zu einem Wähler zwar beide Administratoren anstatt nur eines Wahlleiter benötigen, die nachträgliche Kontrollmöglichkeit durch Dritte würde aber verbleiben. Dieses spezielle Problem würde sich nur lösen lassen, wenn man auf die Veröffentlichung der Kontrollliste komplett verzichtete.

Aber…

… im demokratischen Prozess muss das Wahlverfahren für jeden transparent sein. Ein „Vertrauen“ in den Wahldurchführenden DARF nicht vorausgesetzt werden. Die Vorgänge innerhalb einer „Wahlmaschine“ werden für den Durchschnittswähler immer undurchschaubar bleiben. Und die Manipulation von Software wird immer schwerer zu erkennen sein als die Manipulation einer manuellen Auszählung.

Ein Verfahren mit bekannten Schwachstellen ist immer einem Verfahren vorzuziehen, das auf einem „Vertrauen“ beruht, dass schon keine Manipulation stattfinden wird. Dort, wo politische Macht wirklich vergeben wird – zugegebenermaßen nicht im VOV –, MUSS das Verfahren transparent und nachvollziehbar sein – ein Urteil, das 2009 so auch das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Wahlmaschinen und Onlinewahlen bestätigt hat.
Insofern waren alle Personalwahlen, die wir durchgeführt haben, nur insoweit geheim, als der Wahlleiter potentiell Zugang zu den individuellen Stimmabgaben hatte, als auch jeder Abstimmender seine Stimmabgabe anderen gegenüber nachweisen konnte. Andere Online-Verfahren haben aber immer auch andere, meines Erachtens nach schwerwiegendere, Nachteile. Es gibt kein Online-Wahlverfahren, das geheim, nachprüfbar und transparent ist.

Schlussfolgerungen zum Verfahren

Eine Schlussfolgerung dieser Überlegungen für mich war und ist, dass politische Macht durch Wahlzettel in Kabinen vergeben werden sollte. Es gibt kein Online-Wahlverfahren und keine Wahlmaschine, dem man hierbei „trauen“ darf. Der Verlust an Glaubwürdigkeit und das erhöhte Manipulationsrisiko ist die Einsparung an Geld oder Zeit nicht wert.

Eine Ausnahme ist das Hinterlassen einer „vollständigen Papierspur“ bei lokaler Kontrolle des Zugangs zur Maschine – aber wegen der notwendigen Kontrollzählungen ist es deutlich günstiger, gleich auf diese Maschinen zu verzichten.

Heute

Durch die Verbreitung von Handykameras ist mittlerweile Stimmenkauf zu einer lösbaren logistischen Aufgabe geworden. Auch dem sollte die Politik vorbeugen, indem Handys grundsätzlich aus Wahlkabinen verbannt und Briefwahlen untersagt werden. Der Vorteil einer erhöhten Beteiligung durch Briefwahl wird gegenüber den wachsenden Manipulationsmöglichkeiten an Wert verlieren – eine Beobachtung der Wahlergebnisse der Briefwahlen durch statistische Methoden erscheint bereits heute geboten.

Missbrauch von Abstimmungen

Ein Ziel des VOV war, jeden Teilnehmer am politischen Prozess zu beteiligen. Hierzu standen Abstimmungen jedem Mitglied offen. Dies führte leider dazu, dass Themen zur Abstimmung gestellt wurden, die inhaltlich schädlich für den VOV waren (auch wenn sie kaum Chancen auf Zustimmung hatten). Als Beispiel sei insbesondere ein recht heftiger Angriff auf unsere Schirmherrin Herta Däubler-Gmelin wegen ihrer Tätigkeit als Justizministerin angeführt. Ich hatte in diesem Fall ernsthaft überlegt, die entsprechende Abstimmung einfach aus Verantwortung des Amtes abzulehnen und ggf. über meine Ablehnung (und Position als Wahlleiter) abstimmen zu lassen, statt über das ursprüngliche Thema. Da „man“ – insbesondere der Autor der Abstimmung – dem VOV-Vorstand damals u. a. vorwarf, „Andersdenkende“ durch Regularien auszubooten, habe ich mich gegen meine Idee entschieden und die Abstimmung – mit dem zu erwartenden Ergebnis – durchgeführt.

Rückblickend betrachtet wäre ein wenig mehr politische Arbeit an vielen Stellen – auch bei der Wahlleitung – dem Gesamtprojekt VOV dienlich gewesen. Mein Verständnis des Amtes als rein organisatorische Dienstleitung stand dem hier entgegen.

Maritta Strasser (2012): Frisch gewagt ist fast gewonnen: Abenteuer virtueller Ortsverein

maritta strasser 2012
Maritta Strasser 2012 © privat

Man könnte es für eine Idee der Piraten halten, und für eine neue Idee: Parteiarbeit im Netz. Jede Parteigliederung bekommt zusätzlich zur vorhandenen Struktur einen virtuellen Versammlungsraum, dort wird diskutiert, werden Ideen entwickelt, Beschlüsse gefasst. Ganz genau so, als würde man sich in einem Raum gegenüber sitzen. Das ist der Vorschlag von Olaf Scholz für den Landesparteitag der SPD am morgigen Samstag. Es leuchtet ein, dass das digitale Parteiarbeit ungeheuer praktisch ist. Und viele hoffen, dass sie die SPD attraktiver macht. Ist diese Hoffnung berechtigt?

Die Idee eines virtuellen Ortsvereins ist tatsächlich bald 20 Jahre alt. Zu einer Zeit, als ich noch kein Mobiltelefon besaß und Helmut Kohl Kanzler war, 1995, wurde ich Mitglied und wenig später Vorsitzende des Virtuellen Ortsvereins der SPD (VOV). Mitglieder des VOV halfen dem Parteivorstand bei der Erstellung des ersten Internetauftritts, sie übernahmen die erste Online-Berichterstattung von Parteitagen. Diskutiert und gewählt wurde über Mailinglisten.

Es stellte sich sehr bald heraus, dass das Internet eben nicht nur Medium, sondern auch liebstes Thema des VOV war. Es ging um Urheberrecht und Kopierschutz, um Überwachung, die Verfolgung von Straftätern und Datenschutz, um Informationsfreiheit, Online-Wahlen, direkte Demokratie und um Sicherheitsrisiken durch unüberlegte Nutzung der Technik, wie zum Beispiel Spam und Viren.

Teilweise wurden über die Listen auch Dinge diskutiert, die mit dem Internet nichts zu tun haben. Aber diese Diskussionen hatten stets weniger Interessenten und kamen seltener zu Ergebnissen wie konkreten Beschlüssen und Pressemitteilungen, als die netzpolitischen Initiativen. Es gab darüber hinaus auch wenig Geduld im Umgang miteinander, was die unterschiedlichen Interessensphären der Mitglieder betraf. Die „Technik-Nerds“ gaben den unbedarften Neumitgliedern ohne großes technisches Vorwissen ordentlich Saures, wenn diese die verpönten html-Mails verschickten anstatt das Textformat der reinen Lehre zu verwenden. Diskussionen über soziale Themen wurden von ihnen als „langweiliges Gelaber“ abgetan, was von der anderen Seite den nicht ganz unberechtigten Vorwurf einbrachte, die Leute verhielten sich elitär und bedienten sich einer kryptischen Sprache.

Überhaupt: Konfliktverhalten via E-Mail – ein Thema für Diplomarbeiten. Was es genau ist, das bei manchen Menschen offenbar jede Hemmung vor Kraftausdrücken und Verletzendem außer Kraft setzt, sobald man sich via Bildschirm und Tastatur austauscht anstatt von Angesicht zu Angesicht – ich wüsste es gern. Witziger Weise sind dieselben, meist männlichen Mitglieder, die eben noch als verbale Berserker die Mailinglisten aufgemischt haben, oft ganz umgänglich wenn man sie beim Bier trifft (Club Mate gab es damals auch noch nicht).

An mich als Vorsitzende wurde oft die Bitte herangetragen, zu moderieren. Mir stand neben der Warnung nur das ganz scharfe Schwert zur Verfügung, den Übeltäter eine Zeit lang das Recht zu entziehen, Mails auf unsere Listen zu schicken. Aber bis wir diese Möglichkeit, gelbe und rote Karten zu verteilen in unserer Satzung verankert hatten, wurden viele Kilobyte anstrengender Diskussionen versendet, und so manches Neumitglied wandte sich mit Grausen ab.

Ich möchte die Delegierten des Hamburger Parteitags ermutigen, das Experiment erneut zu wagen. Es hat damals Leute zur SPD gebracht, die sonst nicht den Weg zu ihr gefunden hätten und wird dies sicher heute wieder tun.

Aber ich möchte Euch einige Tipps mitgeben. Gebt Euren virtuellen Ortsvereinen eine durchsetzungsfähige Moderation mit, damit das Diskussionsklima für alle angenehm bleibt. Erlaubt eine Vielfalt an Themen und Interessen und macht es zugleich möglich, dass die Mitglieder Diskussionen, die sie nicht interessieren auch ignorieren können. Macht Euch Gedanken über eine möglichst flexible und ausbaufähige Technik, mit der alle möglichen Informationskanäle und Medien zusammengefasst werden: Blogs und Termine, Kommentare und Bilder, Tweets und andere Social Media Inhalte.

Die wichtigste Schnittstelle ist aber nicht die zwischen unterschiedlichen digitalen Medien, sondern die zwischen den virtuellen und den normalen Parteigliederungen. Der erste virtuelle Ortsverein ist genau daran letztlich gescheitert: Die Mitglieder hatten das Gefühl, dass ihre Arbeit nicht in der Partei ankam. Wenn die virtuellen Gliederungen bloß unverbindlich diskutieren dürfen, und ohne Einfluß auf Entscheidungen bleiben, dann wird sich sehr schnell Frust breit machen.

Ich habe unsere Domain www.vov.de dem Parteivorstand der SPD übertragen in der Hoffnung, dass bald ein neues Projekt auf dieser Domain entsteht. Frisch voran, Hamburg! Ich würde mich wirklich sehr freuen.

Maritta Strasser ist Kommunikationsexpertin mit langjähriger Erfahrung unter anderem als Pressesprecherin des Bundesministeriums für Justiz, beim Zentralrat der Juden in Deutschland sowie für den Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) e.V., als Mitarbeiterin beim Deutschen Bundestag und als Beraterin in einer namhaften Berliner PR-Agentur und als Leiterin der Abteilung Kommunikation im Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin in Berlin-Buch (MDC). 2012 war sie Fraktionsgeschäftsführerin einer Landtagsfraktion.

Links: Virtueller Ortsverein (VOV)