In der Aprilausgabe des deutschen Wired-Magazinwar kürzlich zu lesen, wie Sascha Lobo zum „Netzerklärer der Nation“ wurde: „die Stelle war Mitte der Nulljahre noch frei und vielversprechend“ [1]. Jens Hoffmann, der Pionier und Mitbegründer des Virtuellen Ortsvereins (und etliche Jahre Wahlleiter des VOV), wurde zum Netzerklärer der Nation schon im Jahr 1995. Genauer genommen, im November 1995 auf dem Bundesparteitag der SPD in Mannheim. Sein Erkennungsmerkmal: – nein, kein pinker Irokese! – die getönte Brille.
Auf dem Parteitag hat Jens seine „Standard-Sales-Präsentation“ gehalten, was so viel hieß, wie der Politprominenz, den Interessierten, Besuchern und der Partei das Internet und das Web auf dem Internetstand („Internetcafé“ nannte man es damals) zu erklären.
„In Jahr 1995 bestand das Internet noch nicht aus vielen bunten Bildern, die Übertagungsraten für bezahlbare private Netzanschlüsse reichten gerade für die Text- und Mail-Abfragen“, erinnert sich Jens. Dementsprechend blühte die ASCII-Kunst in den Newsgroups und Chatforen, also die Art, Grafiken ohne Grafik darzustellen (überlebt haben bis heute die infantilen Nikoläuse und Osterhasen, die man sich gelegentlich noch per SMS schickt – Tendenz sinkend). „Ich erklärte auf dem Parteitag im Mannheim, was für Anwendungen gibt es im Netz, wozu sind die gut etc. Das war nicht viel. Mein Repertoire war beschränkt und bestand aus E-Mail, Gopher, Web, ftp und Usenet“, sagt Jens. „Das alles war noch sehr technisch. Es gab nicht sooo viel Interessantes für das Publikum auf dem Parteitag. Den Kunden habe ich daher meist nach seinen Interessen gefragt und mich dann an seinen Wünschen orientiert.“
Kunden- bzw. zuschauerorientiert musste dann die Präsentation erfolgen: „Usenet habe ich immer als Realtime-Wissensdatenbank präsentiert. Das machte damals bei Politikern anders nicht viel Sinn, da auch das Usenet noch sehr technisch war“, so Jens. Und erinnert sich an eine kleine Anekdote aus der Pionierzeit: „Einmal erklärte ich das Internet Wolfgang Thierse. Ich habe ihm Usenet gezeigt und das mit der Wissensdatenbank erklärt. Er fragte mich dann, wo die Redakteure denn wären. Ich hab Herrn Thierse nicht ausgelacht, war aber doch eine Sekunde lang sprachlos.“
Die ersten Netzerklärer hatten keine „Spiegel-Online“-Kolumne zur Verfügung, dafür aber verfügten sie über ein viel anspruchsvolleres technisches – meritorisches wie motorisches ‒ Hintergrundwissen als die „Kunden“ aus der eigenen Partei, die es aufzuklären galt. Neben der Netzaufklärung auf den Messen, Parteitagen, Workshops und auf Konferenzen wurden von Jens und anderen VOV-Mitgliedern auch Web-Tutorials verfasst.
Boris (Pi) Piwinger publizierte beispielsweise auf seiner piology.org-Seite „pi‘s Einführung in Network News (Usenet)“ und schrieb sogar ein paar Jahre später zusammen mit Elmar Bins ein Buch über Newsgroups[2]. Dieser Einführung in das Usenet kann man heute immer noch viele nützliche Informationen entnehmen. So kann man beispielsweise erfahren, dass die meisten Menschen heute in ihren E-Mails die Zitierweise TOFU (= Text Oben Fullquote Unten) nutzen ‒ während die „Old Boys“ des Internets meist noch das gekürzte oder ungekürzte Inline-Quote bevorzugen. Die noch im Netz erhaltenen Web-Tutorials sind Zeugen der „Netzerklärung“ aus den Pionierzeiten des Internets ‒ und ein Stück der Netzgeschichte. So, wie der Virtuelle Ortsverein und seine „Netzerklärer“ ein wichtiger Teil der Geschichte der Netzpolitik sind.
[1] Hentschel, J.; Rank, E. & Tanriverdi, H. 2015, „Das Netz ist kaputt – es lebe das Netz!“, in: Wired 04.15, 62-69.
Zum Thema VOV gab es auch noch zwei kleine Geschichten, die mir in den 90ern passiert sind.
Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft
Diese erste Geschichte könnte man etwas übertrieben so titeln. Vermutlich zeigt dieser Satz aus dem Film „Casablanca“ schon auf, aus welcher Altersgruppe ich komme. Die Vorbereitungen der Landtagswahl 1996 brachten uns auf die Idee, eine eigene Homepage für den Kreisverband Kiel in Schleswig Holstein zu machen. Die Idee und verschiedene Details hatte ich mit dem Kreisvorsitzenden und dem Kreisausschussleiter besprochen und danach einfach bei der DENIC e. G. die Registrierung der Domain „SPD-Kiel.de“ auf meinen Namen vorgenommen und für den Kreisverband die Seiten eingerichtet. Material und Bilder wurden mir zugeschickt oder ich machte Bilder auf Parteitagen. Im Wesentlichen haben wir die Flyer aus dem Wahlkampf ins Internet gestellt und mit Terminkalendern aus den Wahlkreisen verlinkt.
Beim Lesen der DENIC-Seiten hat mich nachfolgender Text inspiriert. Getreu dem Motto „Liebe Kinder vor dem Bildschirm, bitte nicht nachmachen zu Hause, das ist gefährlich“. Er lautete sinngemäß:
Die Vergabe des Domain-Namens erfolgt nach dem Prinzip „first come, first served“ oder auf deutsch: „wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Im Zuge des Registrierungsverfahrens prüft die Registrierungsstelle, ob der Name bereits vergeben ist, eine Prüfung entgegenstehender Rechte bleibt aus.
Das hat zur Folge, dass die Person oder Institution, die zuerst den Registrierungsantrag für einen Domain-Namen stellt, zunächst einmal Inhaber dieser Domain wird. Es gab somit eine recht einfache Möglichkeit, andere am rechtzeitigen Aufbau von „Partei-Kiel.de“ zu behindern (damals gab es nur DE und COM). Das ist wie den besten Platz an der richtigen Kreuzung für das eigene Plakat zu okkupieren. Gedacht… getan. So wurde ich also Besitzer von Domains mit ungewöhnlichen Namen.
Natürlich beschlichen mich Zweifel. Und dann realisierte „die andere“ Partei, was wir getan hatten. Hektisch versuchte mein Landesgeschäftsführer mich zu erreichen. Das hätte es noch nicht gegeben, und mir schwante auch, warum. Schnell waren wir uns einig, das dieser Wahlkampf nicht mit solchen Mitteln geführt werden sollte. In Kiel wurde daraufhin die Regeln für Wahlkämpfe zum ersten mal um Regeln fürs Internet ergänzt.
Ein Paar Tage später habe ich mich dann in einem Restaurant mit einem Vertreter der anderen Partei getroffen und mit dem angehenden Juristen die Verträge durchgesehen. Wir haben die Domain mit den drei Buchstaben seiner Partei auf ihn überschrieben und die notwendigen Papiere unterzeichnet. ( Ich habe übrigens auch meine Gebühren erstattet bekommen) Er konnte noch rechtzeitig mit seinen Webseiten und meinen Passwörtern in den Wahlkampf starten. Das Geld haben wir noch an dem besagten Abend in Getränke umgesetzt. Wir begegneten uns übrigens später wieder: im Kieler Rathaus. Jeder für seine Partei, aber beide gemeinsam für die Unterstützung des Einsatzes neuer Medien in Schulen.
Anmerkung: Nach heutiger Rechtsauffassung war das fast eine Namensanmaßung.
Im Zusammenhang mit einer registrierten Domain spricht man von einer Namensanmaßung, wenn durch die Rechtsverletzung Identitäts- oder Zuordnungsverwirrungen ausgelöst werden. Eine Zuordnungsverwirrung entsteht, wenn der (unrichtige) Eindruck hervorgerufen wird, der Namensträger habe dem Gebrauch seines Namens zugestimmt. Zum Glück habe ich den Eindruck nicht erweckt, da auf den Seiten nichts verwirrendes eingerichtete war.
Das bringt mich zu der zweiten Geschichte:
Und die Großen kriegen was sie wollen. Oder auch nicht
Aus beruflichen Gründen hatte ich bereits 1993 meinen ersten Internetzugang und auch meine eigene Mailadresse hambach@web.de. Das sollte nun in den 90ern nach dem Willen eines langjährigen Bundeskanzlers anders werden.
Ich bekam damals ein Schreiben von einer der CDU-nahen Stiftung (mit einem Exbundeskanzler im Namen) und von einem Kieler Juristen, der meinte, mir beratend zur Seite stehen zu können, wenn ich meine Mailadresse verkaufen möchte. Der erste Brief verlangte, dass ich die widerrechtliche Nutzung der Mailadresse zu beenden habe. Beide hatten meinen Namen vom Internetauftritt des VOVs. Ich bin mir sicher, dass sie sich heute beide nicht mehr daran erinnern. Was war geschehen?
Blicken wir in die „Gechichte“. Nach 1812 kamen Bürgerinnen und Bürger auf die Idee, eine deutsche Flagge muss her. Eine Fahne für eine geeinte Nation, für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit der Deutschen. Aus meiner Sicht eine tolle Sache. Die Flagge, die sich später durchsetzte, erschien erstmals massenhaft auf dem Hambacher Fest 1832 rund um und auf dem Hambacher Schloss. Auch Dank den Bemühungen des Altbundeskanzlers Helmut Kohl ist die Burgruine heute umgebaut und eine Gedenkstätte zur Deutschen Nation und der Deutschen Flagge Schwarz Rot Gold. Was dem Ganzen fehlte war ein schöner Internetauftritt mit einer ansprechenden eingängigen Adresse. Es war schließlich das Schloss des Ortes Hambach an der Weinstraße. Hierfür wurde ein hochmoderner Internetauftritt geplant. „Wäre die Bezeichnung „Hambach im WEB der Deutschen“ nicht traumhaft?“, war ein Gedanke. Also hambach@web.de musste her, den Dienst gab es ja bereits. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass genau diese Mailadresse nicht mehr frei war. Ausgerechnet ein Sozialdemokrat aus dem Norden hatte sie sich geschnappt und benutzte sie auch noch kostenlos. Ein Rechtstreit ließ sich nicht gewinnen, denn die Adresse entsprach meinem Namen. Das Namensrecht war etwas, was damals vor Gericht verwendet wurde, um an bereits vergebene Wunschadressen zu kommen. Der andere Weg ging über einen Kaufvertrag. Meine Antwort damals war einfach und deutlich. Sie sollten sich eine andere Adresse suchen, es sind viele noch frei. Sentimental wollte ich meinen Namen nicht verkaufen. Und wer mich unter Druck setzt, bekommt nichts von mir geschenkt.
Wie wir heute sehen können, habe ich meinen Namen behalten und das Hambacher Schloss seine Endung „er“ ebenfalls. Selbst die Stiftung der Gedenkstätte hat den Namen Hambacher Schloss. Ich war inzwischen dort und habe mir die ersten zwei Ausstellungen angesehen, sie haben mir sehr gefallen.
1997 kam ich zum VOV. Mir waren die anstrengenden, kompliziert zu verfolgenden, oft ausufernden (und dadurch ja auch teuren, man zahlte ja pro Minute/Einheit!) Diskussionen in den Mailinglisten eigentlich nie sehr sympathisch (das erklärt auch meine noch heute vorhandene Aversion gegen Mailinglisten). „Anträge und Abstimmungen“ waren nicht viel spaßiger als im wirklichen Parteileben und da es wenig Hierarchie gab, empfand ich sie oft auch als chaotisch. Mich interessierte mehr: Wie bekommen wir die Partei ins Netz?! Wie nutzen wir die Möglichkeiten des Internets für unsere Zwecke und die Parteiarbeit? Deshalb klinkte ich mich in die Projekte „Infostände“ und „Regionale Vernetzung“ ein.
Aus Schleswig-Holstein waren Hartmut Hambach aus Kiel als Schriftführer und Wolfgang Küter aus Dollrottfeld als Postmaster im VOV und auch im wirklichen Leben aktiv in der Partei. Wolfgang war u.a. Webmaster des SPD-Landesverbandes.
Bevor ich zum VOV kam, war ich zwar bereits im Internet aktiv, bastelte Ortsvereins- und Kreisverbands-Webseiten und war per E-Mail mit dem Landesverband verbunden. Im Bundestags-Wahlkampf 1998 war es jedoch einfacher und günstiger, die aktuellen Daten für die „Zeitung am Sonntag“ auf Disketten mit dem Auto 60 km nach Kiel zu fahren anstatt sie übers Modem zu verschicken.
VOV-Stand auf dem SPD Bildungstag 1999
Über den ersten Infostand des VOV auf dem Landesparteitag der schleswig-holsteinischen SPD am 21. September 1996 in Kiel (noch ohne mich) berichtete Hartmut Hambach auf der VOV-Webseite: „Wir sind am Morgen des 21.09.96 mit drei VOVlern und einer Zusatzhilfe im Schulzentrum angekommen. Wir hatten zwei 17″ Bildschirme, mit Computern dahinter. Der Knüller war ein Projektor mit dem wir die Bilder vom Online-Computer auf eine Leinwand werfen konnten. Das bedeutete Websites online in Kleinfilmformat und Farbe. Das Ding hatte Dirk Lerche aus der Stadtbildstelle ausgeliehen. Wir benutzten den zweiten Computer zum zeigen, wie Free Agent und Eudora aussehen und was man damit macht. Dazu konnten wir die Websites in Farbe drucken. …“
VOV-Stand auf dem SPD Bildungstag 1999 mit Wolfgang Küter und Elfriede Marx, Bildungsreferentin des Landesverbandes SH @Gerda Petrich
Auf dem Bildungstag des SPD-Landesverbandes 1999 in der IGS am Brachenfeld in Neumünster bauten wir drei Rechner mit Internet-Anschluss auf und wurden bestaunt. Viele Genossinnen und Genossen hatten hier zum ersten Mal Kontakt mit der virtuellen Welt.
VOV-Stand auf dem SPD Landesparteitag in Reinfeld mit Markus Hagge (l.) und Wolfgang Küter(r.) 1999 @Gerda Petric
Ein weiterer Höhepunkt war dann der Landesparteitag am 25. und 26. April 1999 in Reinbek. Dort hatten wir ein richtiges kleines Internet-Café aufgebaut, das eine riesen Attraktion und immer umlagert war. Es war der Nominierungsparteitag für Heide Simonis. Sie hatte dort, von zahlreichen Journalisten und Kameras umlagert, zum ersten Mal eine Maus in der Hand. Das war der Tag, als (damals noch als Juso), Markus Hagge dazu kam.
Beim Jahrhundertfest des Landes in Schleswig, Schloss Gottorf vom 1. bis 3. Oktober 1999 wurde bei Sturm und Regen in einem Pavillon zusammen mit der SPD Geschichtswerkstatt SH von Wolfgang Küter und Markus Hagge ein Infostand aufgebaut, leider habe ich dazu keine Bilder mehr auftreiben können (und ich war damals leider erkrankt).
Mit MdL Hermann Benker und MdB Antje-Marie Steen wurden im SPD Kreisbüro Ostholstein in Eutin Chat-Aktionen durchgeführt @Gerda Petrich
Der Landtagswahlkampf 1999/2000 war in Schleswig-Holstein dann schon ein echter Online-Wahlkampf, und wir gründeten mit WIN-SH 2000 die erste deutsche Online-Wählerinitiative!
Wir betreuten die Webseiten: www.win-sh2000.de, www.Heide-Simonis.de und www.Heidehats.de und publizierten zeitnah (d. h. noch in der gleichen Nacht) aktuelle Berichte mit Fotos von allen wichtigen Wahlkampfveranstaltungen im Land.
n@tworkSPD Gründungsklausur 15.+16.04.2000 in Malente, CJD Godensande Diskussion über Ziele und Aufgaben @Gerda Petrich
N@tworkSPD
Innerhalb des Projekts „Regionale Vernetzung“ entstand nach dem Wahlkampf eine kleine lokale Internet-Aktivistengruppe, zunächst n@tworkSPD genannt (erstes Treffen in Wahlstedt am 11. März 2000, Gründungsklausur am 15. und 16. April 2000 in Malente, CJD Godensande).
AufgabenZiele
1. Seitenbastlerseminar in Malente (CJD-Godensande) am 25.11.2000
Wir bearbeiteten einen Webseiten- Baukasten und „bastelten“ damit HTML-Webseiten.
1. Seitenbastlerseminar in Malente (CJD-Godensande)
Bei mehreren Workshops für OV-Webmaster, z.B. am 25. November 2000 durch Hartmut Hambach und mich in Malente im Schulungsraum der CjD, später lokal in Ostholstein mit Lars Winter und auch mit Markus Hagge, kamen etliche Interessierte, der Kreis vergrößerte sich.
Über die Fragen, wie stark verbinden wir uns mit dem Parteiapparat, machen wir alles als Privatpersonen oder beteiligt sich der Landesverband an den Kosten bzw. überlassen wir der Partei Verantwortung und Kosten, entzweite sich die Gruppe allerdings sehr schnell. Martin Preuschhof, und Gaby Lönne entwickelten ein Redaktions- System (spd-net-sh.de) und nannten ihre Gruppe Internetkooperative SPD-NET-SH.
Markus Hagge und ich schlossen uns im Frühjahr 2002 den im Januar 2002 gegründet bundesweiten WebSozis an und sind seitdem in dieser Gruppe aktiv.
Anfang 1996 kaufte ich mein erstes Modem. Computer beschäftigten mich schon lange, die damals weit verbreiteten Mailboxnetze faszinierten mich, auch wenn ich tatsächlich nie so ganz den richtigen Zugang zu ihnen bekam. Damals war das ein sehr teures Vergnügen. Ich wohnte in Brunsbüttel, einer Kleinstadt an der Mündung des Nord-Ostsee-Kanales in die Elbe (und vielen sicherlich durch das Atomkraftwerk und die chemische Industrie bekannt), örtliche Mailboxen gab es nicht, so dass jede Einwahl in aller Regel ein Ferngespräch bedeutete. Meine Telefonrechnung sprang also in ungeahnte Höhen.
Irgendwann Mitte 1996 wurde aus dem „Online-Zugang“ dann auch ein „Internet-Zugang“. Am Anfang noch eher kompliziert und quasi als „Add-on“ zum eigentlichen Dienst (Compuserve, wenn ich mich richtig erinnere), man kam also nicht direkt ins Internet, sondern verband sich mit Compuserve und konnte sich von dort aus dann ins „freie“ Internet weiterverbinden. Die Telefonrechnung war immer noch exorbitant hoch, aber immerhin, der Zugangsknoten lag jetzt in Itzehoe, der Kreisstadt des Nachbarkreises, und nicht mehr ganz so fern.
spd.de im Dezember 1996
Politisch durchaus schon länger interessiert beschloss ich Ende 1996 Mitglied in der SPD zu werden, da ich mit ihr schon länger sympathisierte. Standesgemäß „online“ via Internet (ja, diese Möglichkeit gab es zu der Zeit schon, die SPD war damals, was da anging, sehr fortschrittlich). Ich ahnte damals allerdings nicht, wo mich das hinführen sollte…
Mein Plan war, in der SPD eigentlich kein aktives Mitglied zu werden, ich wollte mit meiner Mitgliedschaft mehr oder weniger nur meine Solidarität ausdrücken. Ich war damals Angestellter bei einer Krankenkasse, und zu meinen Aufgaben gehörte, am Ende des Tages die Post zur selbigen zu bringen. Eines Tages, kurz nach meinem SPD-Beitritt, sprach mich der Postbeamte auf einmal mit „Du“ an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, am Abend zur Mitgliederversammlung zu kommen. Nun, der Postbeamte war der Kassierer „meines“ Ortsvereins (er ist es übrigens heute noch), und ich war dann doch neugierig. Also ging ich hin.
Natürlich musste ich mich vorstellen und war dabei gleich in zweierlei Hinsicht etwas Besonderes. Zum einen war ich vergleichsweise jung, zum anderen erweckte das „online eingetreten sein“, welches ich warum auch immer an dem Abend erwähnte, ein riesiges „hallo!!!“. Ich wurde also fortan immer mit dem Internet verbunden. Wobei ich dem Ortsverein wirklich zugutehalten muss, dass die Genossen nie skeptisch sondern eher neugierig, getreu dem Motto „Gut, dass wir jetzt jemanden haben, der sich damit auskennt“, gesehen wurde.
Ab Januar 1997 wurde ich für zehn Monate zum Sanitätsdienst bei der Bundeswehr eingezogen. Ich hätte auch Zivildienst gemacht, da ich jedoch beruflich als Angestellter arbeitete und nicht schlecht verdiente und der Zivildienst drei Monate länger gedauert hätte, habe ich nicht lange drüber nachgedacht. Während dieser Zeit musste ich allerdings meine Online- wie auch Parteiaktivitäten runterfahren, sowohl aus Zeit- wie auch aus finanziellen Gründen. Wie gesagt, das Internet war damals noch ein relativ teures Vergnügen.
Irgendwann in dieser Zeit, vermutlich einfach beim Surfen auf sozialdemokratischen Webseiten, eventuell auch erst kurz nach meiner Zeit bei der Bundeswehr, entdeckte ich den VOV und meldete mich an. Das Abonnement der verschiedenen Mailinglisten erschlug mich. So viele Mails in so kurzer Zeit hatte ich in allen Jahren zusammen nicht bekommen. Ich las eine Weile mit, las viele Beiträge, die mir sinnvoll erschienen, aber auch vieles, was mir einfach „spinnert“ und destruktiv vorkam. So recht was konnte ich damit aber nicht anfangen, denn ich war damals schon eher der Praktiker und weniger der Theoretiker.
VOV-Regional
Als das Projekt „VOV-Regional“ aus der Taufe gehoben wurde, sah ich eine Chance, mich einzubringen. Zumal ich dort auch etliche Leute traf (präziser: las) die aus Schleswig-Holstein kamen und die tatsächlich konkret etwas gestalten wollten. Das erste regionale Internet-Projekt des Virtuellen Ortsvereins, an das ich mich erinnern kann, war ein Infostand auf dem SPD-Landesparteitag im April 1999 in Reinbek, zu dem ich hingefahren war. Viele Genossinnen und Genossen sind dort das erste mal mit dem Internet in Berührung gekommen, wie zum Beispiel die damalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis, die dort das erste Mal eine Maus berührt hat.
Es folgten eine Menge Veranstaltungen und Treffen von uns Schleswig-Holsteinern – Infostände, Schulungsangebote usw. – und sogar eine Wählerinitiative im Rahmen des Landtagswahlkampfes im Jahr 2000.
In besonderer Erinnerung ist mir der Infostand auf dem Jahrhundertfest auf dem Schloss Gottorf in Schleswig Anfang Oktober 1999 geblieben. Wohl schon im Vorgriff auf den anstehenden Landtagswahlkampf hatte der SPD Landesverband so richtig in die vollen gegriffen und keine Kosten und Mühen gescheut, dort einen imposanten Auftritt hinzulegen. Wolfgang Küter und ich (Gerda Petrich war erkrankt, an andere erinnere ich mich leider nicht mehr. Sollte ich jemand vergessen haben, bitte ich um Entschuldigung) bauten in einem Zelt ein Internet-Cafe auf (ich meine, wir haben das auch so genannt). Allerdings waren wir die meisten Zeit wohl nur Unterstand für die meisten Besucher, denn das Wetter war – wie sagt man so schön – norddeutsch schmuddelig. Ein Abenteuer in sich mit diversen Computern im Zelt bei Starkregen, aber Wolfgang Küter sah das gelassen, also machte ich mir auch keine Sorgen. An einen Besucher erinnere ich mich allerdings heute noch gut: Udo Simonis, der Ehemann von Heide. Er hatte sich vermutlich in der Absicht, eine Pause zu machen, während seine Frau ihren Rundgang über das Fest absolvierte, zu uns ins Zelt geflüchtet und ließ sich nun mit wachsendem Interesse die Technologie des Internets erklären.
WIN-SH2000
Im Wahlkampf kam dann WIN-SH2000, was mit Wahlkampf im Netz – Schleswig-Holstein 2000 zu übersetzen ist, zum Einsatz. Wir waren nach außen die Online-Wählerinitiative und nach innen das Online-Team des Wahlkampfs, fuhren zu Veranstaltungen, schrieben Berichte und machten Fotos (ich legte mir meine erste Digitalkamera mit 0,7 (!!!) Megapixel zu), die dann auf den verschiedenen Online-Plattformen (z. B. auf der Homepage der Spitzenkandidatin unter www.heide-simonis.de) veröffentlicht wurden.
Interessant ist sicher unser damaliges Equipment. Zu den „Berichtsterminen“ war es häufig nur die Digitalkamera (wobei nicht alle eine hatten, ich erinnere mich an einen Genossen – ich meine aus Kiel -, der in solchen Fällen nur zum Fotografieren anreiste), an „Unterwegs“-Berichterstattung war mangels mobilem Internet sowieso nicht zu denken. Das wurde allerdings dann noch in dergleichen Nacht von zu Hause aus nachgeholt. Bei Infoständen landete aber nicht selten auch der schwere Röhrenmonitor und der PC-Tower im Kofferraum, Laptops hatten wir nicht, an Flachbildschirme war noch nicht zu denken.
Ungefähr zu dieser Zeit, Mitte 1999, eventuell auch etwas früher, gestaltete ich für meinen Ortsverein eine Homepage – wir waren damit einer der ersten fünf Ortsvereine in Schleswig-Holstein, die einen Internetauftritt hatten. Das war damals noch lange nicht selbstverständlich. Bald übernahm ich auch den Aufbau der Homepage des Kreisverbandes Dithmarschen, nachdem der dortige Webmaster weggezogen war. Und wurde damit einhergehend Mitglied im Kreisvorstand. Mein Ziel war, Ortsvereine bei ihren Internet-Aktivitäten besser zu unterstützen, als das bislang der Falls war.
SPD-NET-SH
Nicht zuletzt aus der Zeit bei VOV-Regional/WIN-SH2000 kannte ich viele Genossinnen und Genossen, die in ihren Kreisverbänden mit vergleichbaren Problemen kämpften. Nach dem Ende des Wahlkampfes, den Heide Simonis übrigens gewann, hatten wir uns immer mal wieder getroffen, aber über theoretische Überlegungen aus den verschiedensten Gründen nicht richtig hinausgekommen.
Ich experimentierte zu dieser Zeit mit einer Art „Mini-Content-Management-System (CMS)“ für die Basis, nichts Großes und recht unflexibel (so in etwa: die Seite „Vorstand“ ist vorgegeben, nur der Name kann vom Nutzer selbst ausgetauscht werden), aber für viele Ortsvereine, die sich überhaupt nicht mit der Materie auskannten, für die damalige Zeit sicher nicht völlig verkehrt. Ich stellte das Projekt ein, nachdem ich erfuhr, dass Gaby Lönne in Nordfriesland ein komfortables und unter freier Lizenz stehendes CMS für die Bedürfnisse der SPD umschrieb. Mit drei Kreisverbänden (Nordfriesland, Segeberg und Dithmarschen, kurze Zeit später kamen auch Steinburg und Ostholstein dazu) mieteten wir uns Platz auf einem Server und boten das Projekt PHP-SPDNet (auf diesen Namen hatten wir uns geeinigt) für „unsere“ Gliederungen an. Es wurde ein voller Erfolg! Immer mehr Kreisverbände beteiligten sich an dem Projekt (unter dem Namen SPD-NET-SH als eine Art Trägerverein, ohne dass es direkt ein Verein gewesen ist). Bis heute wird es in weiten Teilen immer noch landesweit genutzt.
WebSozis
Anfang April 2002 rief mich dann Stephan Hix aus Schwelm in Nordrhein-Westfalen an – er hätte mit ein paar Sozialdemokraten ein Webmaster-Forum für die SPD gegründet, weil sie Probleme mit dem hatten, was die NRWSPD damals im Internet plante (es ging um die Form eines Erfahrungs- und Wissensaustausches). Er fand unser Projekt in Schleswig-Holstein total spannend. Wir hatten im Prinzip schon das realisiert, was sich die „WebSozis“ (so nannte sich dieses neue Forum im Internet) auch vorstellen würden – ob ich mich nicht mal in ihrem Forum anmelden könnte, um unser Projekt aus Schleswig-Holstein vorzustellen. Das habe ich getan – und war überrascht, wie viele positive und konstruktive Rückmeldungen ich bekam. Norbert Müschen aus Goch, einer der Mitbegründer der WebSozis und inzwischen leider verstorben, hatte die Angewohnheit auf jeden, wirklich jeden Beitrag im Forum zu antworten – und wenn er die Antwort selbst nicht wusste kam ein „warte, wird sich sicher bald jemand zu melden.“
1. BundesWebSozi-Treffen 2002
Das Ganze stand im krassen Gegensatz zum damaligen Umgang auf den Mailinglisten des VOV. Ich hatte mir angewöhnt, die Listen nur noch grob zu überfliegen und nur noch auf einzelne Mails zu antworten, da einige Teilnehmer zu destruktiv eingestellt waren, was der Diskussionskultur schadete. Es waren sicher nur wenige, die derart negativ agierten – doch diese wenigen überstrahlten nahezu alles. Das war bei den WebSozis anders. Außerdem hatten die WebSozis einen nahezu praktischen Ansatz, der mir – ich schrieb es bereits – sowieso weitaus näher lag. Im VOV las ich bald mehr oder weniger nur noch passiv mit, mein Fokus lag fortan bei den WebSozis und SPD-NET-SH.
Bei den WebSozis entwickelten wir das PHP-SPDNET von SPD-NET-SH zum WebSoziCMS weiter (da ist vor allem Harald Kampen zu nennen, der ungezählte Stunden Arbeit investiert hat), nachdem es zwischen SPD-NET-SH und den WebSozis zu Meinungsverschiedenheiten betreffend der Ausrichtung des CMS kam. Die WebSozis gestalten das System weitaus offener als SPD-NET-SH, so das ich dort ausschied. Wir haben noch einige Zeit versucht, beide Systeme kompatibel zu halten (sollte der Auslegungsstreit beigelegt werden) – aber mit der Zeit entwickelten sich beide Systeme so weit auseinander, dass sie, außer einer gewissen Ähnlichkeit in der Bedienung und einigen Konzepten, heute nichts mehr miteinander gemein haben.
Nun sind bzw. waren die WebSozis nicht nur das WebSoziCMS – das Motto lautet schließlich „Know-How-Sharing für SPD/SPÖ und SPD Webmaster“. So gab es diverse Online-Kurse von HTML über Programmierung bis zur Grafikbearbeitung, die einzelne WebSozis ehrenamtlich betreuten bzw. für Interessierte anboten. Dieser Teil ist heute ein wenig eingeschlafen, was sicher auch daran liegt, dass vieles nicht mehr „per Hand“ programmiert sondern Content-Management-Systeme genutzt werden (auch, aber nicht nur das WebSoziCMS). Daneben gab und gibt es immer noch Infostände, z. B. auf Parteitagen, WebSozi-Treffen und verschiedene gemeinsame Projekte, von News-Diensten über TV-Hinweisen zu Flugblättern in HTML etc. – mit den RedOnliners hatten die WebSozis sogar mal eine eigene (reale) Band. Bis heute betreuen die WebSozis die Internet-Aktivitäten rund um den Wilhelm-Dröscher-Preis der SPD, der auf Bundesparteitagen an besonders engagierte SPD-Gliederungen vergeben wird.
Aus dem Motto oben geht übrigens auch hervor, dass die WebSozis sich geographisch weiter definiert haben als „nur“ in Deutschland. Aus Österreich waren im Laufe der Jahre immer mal vereinzelt Mitglieder dabei, aus der Schweiz waren es einige mehr.
Am 25. Juli 2003 ging dann der „Soziserver“ ans Netz – die Basis für das eigene Content-Management-System (erst PHP-SPDNET, später dann das WebSoziCMS) sowie der verschiedenen WebSozi-Projekte. Der Soziserver bietet „ganz normales“ Webhosting an. Aus diesem Webhosting finanziert sich auch die Plattform der „WebSozis“ samt ihrer angeschlossenen Projekte. Nun ist der Betrieb eines Servers mit einigen Eigenheiten verbunden, gerade wenn man damit auch wirtschaftlich erfolgreich sein will. Wenn die WebSozis dass selbst hätten betreiben wollen, hätten sie sich mit betriebswirtschaftlichen Fragen wie „wer betreibt das überhaupt?“, „Wer zahlt welche Steuern?“ etc. auseinandersetzen müssen. So formal wollten (und wollen bis heute) die WebSozis aber nicht agieren (wenn ich mich erinnere, welche Diskussionen die Kosten des Hostings von www.vov.de auf den Mailinglisten des Virtuellen Ortsvereins regelmäßig auslöste…).
So war es nur logisch, dass mit Andreas Kesting (damals aus Potsdam), der als WebSozi eine kleine Webhosting-Firma betrieb, sich bereit erklärte, die administrativen Dinge zu übernehmen. Andreas mit seiner Firma unaone imc services und die WebSozis schlossen dazu eine Art „Joint Venture“. Dank der Bereitschaft und Zusage einiger Kreisverbände, den Soziserver ab seinem Start zu nutzen, konnte das Projekt online gehen.
Ich arbeitete nun beinahe von Anfang an beim Soziserver mit (aus der Zeit stammt die Geschichte vom Soziserver unter dem Küchentisch, wo er bei Andreas – zu Einrichtungszwecken, natürlich nicht produktiv – tatsächlich mal stand). Privat verließ ich die Krankenkasse, nachdem ich feststellte, dass ist für mich keine Perspektive für mein ganzes Arbeitsleben, und nutzte die Chance, noch einmal eine Ausbildung zum „Fachinformatiker Anwendungsentwicklung“ zu machen. Sicher ist das alles durch meinen „Partei“-Werdegang beflügelt worden, wobei ich 1992 den damals einzigen IT-Ausbildungsberuf „Datenverarbeitungskaufmann“ für meine erste Ausbildung sehr wohl in die engere Wahl gezogen hatte, nur gab es damals in meiner Umgebung gerade mal einen einzigen Ausbildungsplatz.
Mitte/Ende 2006 musste sich Andreas Kesting die Frage stellen, wie er beruflich weitermachen wollte. Das Projekt „Soziserver“ hatte Dimensionen angenommen, die sich neben seinem Job als Büroleiter beim damaligen Bundestagsabgeordneten Peter Friedrich aus Konstanz kaum noch in Einklang bringen ließen. Ich hatte derweil meine Ausbildung beendet und mich entschlossen, es als selbständiger Anwendungsentwickler auszuprobieren. Das eine kam zum anderen, Andreas entschied sich für seinen Hauptjob, und ich übernahm unaone imc services und damit auch den Soziserver (der inzwischen natürlich sehr viel mehr ist als nur ein Server).
Infostand auf dem LPT der SPD RLP in Ida-Oberstein 2010 – Kurt Beck, Anja Hagge (damals Wüste), Markus Hagge
Für die WebSozis wurde ich von Kurt Beck in den ersten Online-Beirat der SPD berufen – dort traf ich dann Sascha Boerger – und somit auch den VOV wieder. Der Beirat krankte leider daran, dass nicht genau definiert war, zu was er den SPD-Parteivorstand beraten sollte. Ich habe es als praktische Sache betrachtet. So brachten wir, wenn ich mich recht entsinne, den Bundestagsabgeordneten Hubertus Heil zum twittern (ich fing noch in Berlin nach einer Sitzung des Online-Beirats damit an). Und wir diskutierten verschiedene praktische Fragen zu Strategie und Ansprache im Internet. Ich hatte den Eindruck, dass man uns in unserer Funktion ernst nahm, denn der Generalsekretär und die Abteilungsleiter des Willy-Brandt-Hauses waren immer dabei. Kurt Beck, damals noch SPD-Parteivorsitzender, hat sich zumindest immer für ein kurzes „Hallo“ blicken lassen, Franz Müntefering (meine ich) nie. Im Streit um die geplanten Zensurgesetze und die „Netzsperren“ legten alle Mitglieder des Online-Beirats im Sommer 2009 aus Protest ihre Mitgliedschaft dann nieder.
Zum Abschluß eine kleine private Anekdote: auch als Heiratsvermittler waren die WebSozis aktiv. Meine Frau Anja war Mitglied bei den WebSozis und suchte einen Praktikumsplatz im IT/Neue Medien-Bereich – der bereits erwähnte Norbert Müschen brachte sie dazu, doch mal bei mir und dem Soziserver nachzufragen. Ich war zwar skeptisch, aber da ich einige Zeit davor schon einmal die Unterstützung von einem Schüler im Auftrag von Jörg Tauss, damals noch Generalsekretär der SPD Baden-Württemberg, hatte, um mir bei der Umsetzung eines Projektes mit der SPD Bawü zu helfen, sagte ich zu. Was soll ich sagen: Anja blieb bei mir in Lübeck und wir haben später geheiratet.
Fazit
Im Gegensatz zum VOV gibt es die WebSozis noch. Allerdings muss man fairerweise sagen, dass es Zeiten gab, wo es wesentlich aktiver zuging. Einiges hat sich in die Sozialen Medien – vorwiegend Facebook – verlagert, anderes ist eingeschlafen, weil kein Interesse oder kein Bedarf mehr dafür besteht/bestand (die Workshops erwähnte ich bereits).
VOV und Websozis hatten/ haben sicherlich völlig unterschiedliche Zielrichtungen. Die WebSozis haben einen streng praktischen Ansatz und haben die Tagespolitik bewusst, bis auf sehr wenige Ausnahmen, ausgeklammert. Was nicht heißt, dass die WebSozis unpolitisch sind. Sie agieren bis heute aufgeschlossen füreinander „in einem normalen Umfeld“. Nicht wenige haben ganz normale Funktionen in der Partei oder sind zu Bürgermeistern oder in vergleichbare Funktionen gewählt worden. Der VOV dagegen hatte seit seiner Gründung politische Konflikte im Spannungsfeld „Netzpolitik“ versus „allgemeine Politik“. Und die sehr destruktive Art des Umgangs einiger (weniger) Mitglieder haben mich dazu bewogen, den VOV zu verlassen.
Eine Anerkennung als offizieller Arbeitskreis/Arbeitsgemeinschaft beim SPD Parteivorstand ist von den WebSozis nie angestrebt worden. Im Gegenteil, es besteht ein gewisser Stolz, unabhängig zu sein, was sicher auch in der Gründungsgeschichte liegt. Nichtsdestotrotz funktioniert die Zusammenarbeit, bis auf wenige Ausnahmen, mit den meisten Landesverbänden und der Bundespartei gut.
Markus Hagge
Jahrgang 1975
zuerst Sozialversicherungsfachangestellter der Fachrichtung Krankenversicherung, später selbständiger Informatiker,
Betreiber von soziserver.de und Mitglied im Admin-Team der WebSozis.
Zugangsberechtigung Internet-Redaktion SPD-Parteivorstand @ Aleksandra Sowa
Am Wahlkampfabend des 27. September 1998 stürmte eine junge Journalistin von Spiegel Online die Internetredaktion der Kampa in Bonn. Das Netz sei zusammengebrochen, sie bekäme keine Verbindung zum Redaktionsserver und könne ihre Liveberichte nicht abliefern. Zusagen, bei dem Wahlkampfabend dabei zu sein, bekäme sie nur von FDP und SPD. Doch die Internetredaktion in der Kampa sei die einzige, wo noch was läuft, hätte sie gehört.
Sie hatte recht. Die Chefin der Internetredaktion der SPD wies der Journalistin einen freien Platz zu, wo sie ihre Berichte aus dieser Nacht tippen konnte.
Die Wahlkampfnacht 1998 war nicht nur die Siegesnacht von Gerhard Schröder. Dies war ebenfalls die Siegesnacht des SPD-Webservers über die IT anderer Bundestagswahlparteien. Die Sozialdemokraten waren die einzige Partei, deren Internetpräsenz an diesem Abend und in dieser Nacht ununterbrochen abrufbar war und nicht den – vermutlich weder beabsichtigten noch bösartigen – Denial-of-Service-Attacken der vom Wahlergebnis der Sozialdemokraten begeisterten Internetnutzer erlag.
„Der Wahlsieg ist ja schon toll“, schrieb ein begeisterter User in einer E-Mail noch am Wahlabend. „Dass Ihr das aber hinbekommen habt, als einzige im Lande einen funktionierenden Internet-Server (in Echtzeit) am Laufen zu halten, ist die totale Wuchtbrumme. Glückwunsch. Doppelt an diesem historischen Wahlabend.“[1]
Screenshot www.spd.de 1998 Bundestagswahlkampf
Die Internetredaktion der SPD überließ in dieser Nacht nichts dem Zufall. Auch nicht, dass sie als einzige Partei online geblieben ist. Sie hat sich auf diesen Fall vorbereitet und aus den Wahlkampferfahrungen anderer Länder, die das Internet erstmalig intensiv im Wahlkampf eingesetzt hatten, gelernt. Die SPD schickte Beobachter in die USA, um in der Bill-Clinton-Wahlkampagne Erfahrungen zu sammeln. Doch die Pannen der nichtverfügbaren Server ereigneten sich zuerst in einer sehr nahen Nachbarschaft – während der Wahlen im Jahr 1997 in Polen. Sowohl die Abfrage der Wahlprognosen vor als auch der Wahlergebnisse nach den Wahlen brachte die Server von „Rzeczpospolita“ beinahe zum Absturz. Ich verfasste damals einen kurzen Bericht darüber für die Friedrich-Ebert-Stiftung und stellte ihn ins Netz[2]. Als die Siegesnacht kam, war die SPD – nicht nur technisch gesehen – auf den „worst case“ vorbereitet.
Bis spät in die Nacht berichtete die Internetredaktion live aus der Wahlkampfzentrale und dem Erich-Ollenhauer-Haus in Bonn im Intranet und stellte Fotos, Reden und Kurzberichte auf die Internetseite der SPD.
„Wir wollten schneller sein als die CDU“, sagte Anna Siebenborn der Spiegel-Journalistin an diesem Wahlabend. „Das war wie der Kampf der Amerikaner und der Russen um den Mond.“ („Kohl ist weg!“, Nataly Bleuel, 28.09.98; SpiegelOnline)[3]
VOV Logo 1998
Es war ein lang ersehnter Sieg für die Technik-Freaks und ungefährlichen Spinner, die damals noch von der Hand jede Webseite kodierten – den Virtuellen Ortsverein der SPD (VOV). Redaktionstools waren kaum für den professionellen Einsatz geeignet, man musste HTML, PHP, am besten auch CGI und Pearl „sprechen“, die Bildbearbeitung beherrschen, von Linux etwas verstehen und ein Netzwerk konfigurieren können (1992 erschien mit Windows für Workgroups die erste netzwerkfähige Version von Windows; erst mit Windows 95 trat Microsoft ins Webzeitalter ein[4]). Auf den Parteitagen, Messen und bei der Wahlkampftour bewiesen die VOVler ihr Können. Was dem Internet-Team meistens zur Verfügung gestellt wurde, war eine Stromdose und manchmal ein ISDN-Anschluss. Der Aufbau der Technik, die Konfiguration des Netzwerks und der Arbeitsumgebung, gar die Konfiguration der Router (danke, Jens Hoffmann, Elmar K. Bins und Wolfgang Küter!) waren schon die Aufgabe des VOV.
Gewiss haben sich die Mitglieder der „Internetredaktion“ nicht nur durch ihr technisches Können vom Rest der Parteizentrale unterschieden. Auch durch die Kleidung – und auch durch ihre verhaltene Kommunikationsneigung. Das lag allerdings daran, dass wir unglaublich viel zu tun hatten. Auf den Parteitagen und Messen arbeiteten wir meistens in Schichten, um die Liveberichterstattung zu bewältigen und schneller als die Presse News zu publizieren. Während ein Teil der Redaktion die journalistischen Aufgaben übernahm und Fotos schoss, waren die anderen im Back-Office damit befasst, die Seiten zu kodieren. Die Chefin der Internetredaktion textete und kommentierte das Geschehene und kümmerte sich um die Freigaben, bevor das Material ins Netz ging. Nicht zu vergessen die Truppe, welche die offiziellen Dokumente – gut, wenn sie schon digitalisiert waren – im Schreibbüro besorgte, übertrug und gegebenenfalls digitalisierte (der Memory Stick war damals noch nicht erfunden). Im Front-Office wurden die Ergebnisse direkt aus dem Internet und Intranet präsentiert, Besuche von Prominenten empfangen, das Internet erklärt und Führungen und Pressetermine für die Parteivorstände erledigt. Und das alles unter Guerilla-Bedingungen.
Tour Team 1998 @ Aleksandra Sowa
Auf der Wahlkampftour durch die Bundesrepublik begleiteten den Kanzlerkandidaten der SPD mehrere mobile Teams, die mit Technik beladenen Pkws hinter dem „Hof“ von Schröder fuhren und ad hoc eine Redaktion aufbauen mussten, um das Bild- und Textmaterial a) schneller als die Medien und b) ungefiltert ins Netz zu stellen.
Gerhard Schröder gewöhnte sich schnell an die Individualisten in Bühnennähe, die mit ihren damals sehr klobigen und unglaublich langsamen Digitalkamera versuchten, möglichst gute Bilder von ihm zu schießen. Eine solche Kamera kostete damals mehrere tausend DM. Ein so wertvolles Prunkstück konnte sich die Internetredaktion des SPD-Parteivorstandes damals nur leihweise leisten.
Unsere Erfolge sprachen sich in der Kampa unglaublich schnell herum und weckten Begehrlichkeiten. Mehrmals tauchten in unserem bis zur Decke mit Technik und Kabeln vollgestopften Redaktionsräumen Mittdreißiger auf – intellektuell angehauchte Hornbrille, Anzug und ledergebundener Terminkalender – mit der Ankündigung, sie hätten jetzt das Sagen über das Internet. Von den meisten dieser Individuen hat man nach dem Wahlkampf nie wieder etwas gehört. Dem Alter Ego begegnet man heute praktisch in jeder Branche und Organisation: große Klappe und keine Ahnung von der Sache. Nur die Brillen haben sich geändert: heute trägt man die Nerd-Version.
In Duisburg war die Internetredaktion noch vor der Hundestaffel der Polizei mit der Technik fertig. In Duisburg erwiderte Schröder den Vorwurf der Bürgermeisterin, er sei noch nie in Duisburg gewesen, mit den Worten, er würde Duisburg kennen, er hätte schließlich Schimanski geguckt. Aus den guten Bildern wurde allerdings nichts. Der für höhere Ämter und Würden bestimmte Mittdreißiger hat der Internetredaktion den Zugang zur Bühne verwehrt. In Zwickau gab es eine Werksbesichtigung mit den frischen Vorständen der Sachsenring Automobilwerk AG, die stolz behaupteten, den faulen Hund in den Ostdeutschen bekämpft zu haben. Wir fanden es wenig berichtenswert, dafür stand es später im Geschäftsbericht der Werke (die Gebrüder Ulf und Ernst-Wilhelm Rittinghaus wurden einige Jahre später u. a. wegen Bilanzfälschung zu Haftstrafen verurteilt, nachdem das Werk insolvent war und geschlossen werden musste[5]). In Bremen bauten wir unsere Tische mit Rechnern direkt auf dem Marktplatz auf. Der Kandidat war schon da (was wir nicht wussten) und lud spontan Journalisten in den Ratskeller zu Bier und Gespräch (was wir aus der Presse erfahren haben). Die Fotos von dem Bühnenauftritt sind trotzdem sehr gut geworden. Und: wir waren wieder mal schneller als die Medien gewesen. In Stuttgart war es so voll, dass wir kaum Nahaufnahmen des Kandidaten geschafft haben, dafür aber tolle Fotos von den begeisterten Menschenmassen vor der Bühne. Außerdem waren wir viel zu spät dran. Während wir auf der Autobahn im Stau standen, fuhr uns Schröder mit seinem Team und einer Polizeieskorte davon. Fakt ist: Wir waren immer dabei, gehörten aber irgendwie doch nicht dazu.
Im Wahlkampf arbeitete eine gut eingespielte VOV-Truppe. Technik, die sich standardisieren ließ, wurde standardisiert. Jeder Griff musste sitzen, jedes Kabel musste richtig aufgewickelt werden, damit das nächste Team ohne Unterbrechung weiterarbeiten konnte. Für Back-ups und Reservelösungen waren weder Zeit noch Geld da. Trotzdem hat es funktioniert. Und dazu noch erstaunlich gut.
Zum Dank für unseren Einsatz bekamen wir ein vom Kanzlerkandidaten handsigniertes Buch überreicht – über Gerhard Schröder –, das ich bis heute wie ein Heiligtum aufbewahre. Er schrieb ja auch am liebsten mit einem guten Mont Blanc. So antwortete er auch, als ihm nahegelegt wurde, sich eine E-Mail-Adresse einrichten zu lassen. Diese Anekdote erzählte man sich noch Monate später.
Und dann war der Kohl weg, wie Nataly Bleyel ihren Wahlabendbericht titelte. Hans-Dieter Degler aus der Redaktion von Spiegel Online kommentierte die Wahlergebnisse: „Die Netzgemeinschaft nimmt einen ignoranten Kanzler, der noch vor wenigen Jahren nicht wusste, was eine Datenautobahn ist, nicht mehr ernst. Und sie nimmt ihm übel, wenn er seinen Innenminister nicht bei dem Versuch stoppt, den großen Lauschangriff auf das Internet auszuweiten.“ Worte und Themen, die heute wieder sehr aktuell klingen.
[1] Auszüge aus der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Akademie der Politischen Bildung. Unter der wissenschaftlichen Betreuung von Herrn Prof. Dr. Thomas Meyer. Vorgelegt von Aleksandra Sowa. „Wahlkampf via Internet. Online-Wahlen in Deutschland 1998 am Beispiel der SPD und CDU.“ (12.11.1998), http://www.fes.de/election/wahlen98/.